Werkstätten in kindheitspädagogischen Studiengängen haben ihren entstehungsgeschichtlichen Hintergrund in der Professionalisierung des elementarpädagogischen Bildungsbereichs, der seit Beginn der 2000er Jahre zunehmend in Akademisierungs- und Professionalisierungsdiskursen in den Fokus gerückt ist. Hierzu trug die Implementierung neuer Studiengänge ab 2004 bei. Parallel zu dieser Entwicklung waren im Kontext der Verortung von Kindertageseinrichtungen als Bildungseinrichtungen in diesen elementarpädagogische Lernwerkstätten entstanden; zu Beginn schwerpunktmäßig um den Bereich der naturwissenschaftlich-technischen Bildung zu fördern. Die erste Werkstatt in einem kindheitspädagogischen Studiengang wurde 2007 an der Hochschule Esslingen eröffnet, gefolgt von einer Werkstatt an der Alice Salomon Hochschule in Berlin.
Vergleichbar der Vielfalt kindheitspädagogischer Studiengänge kam es im Verlaufe der weiteren Entwicklung zur konzeptionellen Ausdifferenzierung der in den Studiengängen angesiedelten Werkstätten sowie zu einer stärker elementardidaktisch fundierten Begründung. So entstanden neben naturwissenschaftlich ausgerichteten Werkstätten unter anderem solche mit dem Schwerpunkt der Ästhetischen Bildung und Werkstätten, die unterschiedliche Bildungsbereiche und elementarpädagogische Konzepte umfassten, in diesem Zusammenhang entwickelte sich der Begriff der Bildungswerkstatt.
Die Werkstatt der Hochschule Esslingen wurde initiiert von Prof. Dr. Lore Miedaner, die diese mit 30 Studierenden des Studiengangs „Soziale Arbeit“ in einem zweisemestrigen Projekt 2006/07 konzipierte und umsetzte. Der thematische Ausgangspunkt war die Stärkung der mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bildung. Die damalige Lernwerkstatt war für die Nutzung in der Lehre, der Weiterbildung von Pädagog*innen und als Anlaufstelle für KiTas und Grundschulen konzipiert. In der Begründung für das Projekt wurde ausdrücklich auf den Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindertageseinrichtungen verwiesen, in dem es darum geht, Kindern mehr Bildungschancen zu eröffnen als bisher. Diese Chancen sollten in frühpädagogischer, ganzheitlicher Art und Weise und nicht als fachspezifische Instruktion eröffnet werden.
Von den Studierenden waren mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Experimentierkisten nach fünf Fachgebieten konzipiert und zusammengestellt worden: Chemie (Lebensmittel), Mathematik, Biologie (Pflanzen), Technik und Physik (Spiegelphänomene).
2009 – 2013 Konzeptionelle Weiterentwicklung
In der Weiterentwicklung der Materialien in verschiedenen Lehrveranstaltungen im kindheitspädagogischen Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ wurde im Folgenden stärker dem ganzheitlichen Charakter frühkindlicher Bildungsprozesse Rechnung getragen. So entstanden Experimentierkisten zu den Themen Wasser und Strom. In mehreren Durchläufen war die Lernwerkstatt Ausgangspunkt für das Projektstudium im fünften und sechsten Semester, bei dem in Kleingruppen aus den Studiengängen „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ und „Soziale Arbeit“ Projekte in der Praxis durchgeführt werden.
Dabei war die Kooperation mit KiTas und Grundschulen von besonderer Bedeutung; Ergebnisse dieser kooperativen Weiterentwicklung sind:
Die Naturwerkstatt – Rucksäcke für die Natur, in deren Rahmen Erkundungsinstrumente und Experimentiermaterialien für Exkursionen mit Kindergruppen in der Natur entwickelt wurden. Dieser Bestandteil der Werkstatt beruht auf der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Naturwerkstatt in Mülheim und dem Austausch mit den dortigen Mitarbeiter*innen. Er stellt eine mobile Variante dieses Konzepts dar.
Der Bereich Schriftenentdecker, der von einer anderen Projektgruppe entwickelt und mit Kindern erprobt wurde, bietet Kindern Gelegenheit, sich mit verschiedenen Schreibmaterialien und Schriften zu befassen, diese auszuprobieren und so anknüpfend an die eigenen lebensweltlichen Erfahrungen und Interessen den Zugang zu Schrift als Symbolsystem zu erweitern. Die Hinführung zum Schreiben geschieht über ein entdeckendes "in Berührung kommen" mit Schrift.
Während aus diesen beiden studentischen Projekten Materialien entstanden sind, die in das Ausleihsystem der Lernwerkstatt integriert wurden, entwickelten sich aus der Arbeit in der Lernwerkstatt weitere Projekte, die in verschiedenen Einrichtungen bzw. im öffentlichen Raum Esslingens durchgeführt wurden, ohne jedoch in eine Erweiterung des Angebots der Lernwerkstatt zu münden. Hiervon liegen überwiegend Dokumentationen in Form von schriftlichen Berichten vor, die als Anregung für eigenes Tun in der Werkstatt zur Verfügung stehen.
Das Vorortangebot der Werkstatt wurde im Laufe der Zeit um mehrere Bereiche erweitert:
Didaktische Materialien verschiedener klassischer elementar-pädagogischer Konzepte (Fröbel und Montessori), sowie didaktische Materialien und Handreichungen zu aktuellen Konzepten (u.a. Zahlenland und Haus der kleinen Forscher). Diese sind klar strukturiert mit erkennbarem Ziel, sie implizieren bestimmte Lösungswege und sind damit ergebnisorientiert.
Offene Materialien ermöglichen dagegen kreatives, experimentelles Vorgehen, regen dazu an, eigene Aufgabenstellungen zu entwickeln. Mit dem Grad der Offenheit steigt die lerntheoretische Bedeutung. Hier finden sich Materialien zum Sortieren, Zählen, Konstruieren nach dem Konzept „Mathekings“; Geräte zum Auseinandernehmen, Werkzeuge und Mess- und Untersuchungsgeräte wie Waagen, Lampen, Lupen etc. Solche Materialien und Geräte eignen sich insbesondere für den Einsatz in Bildungsansätzen, die den entdeckenden Zugang der Kinder unterstützen möchten wie z.B. das „Infans-Konzept“.
Eine wichtige konzeptionelle Weiterentwicklung betraf 2008 die Integration von Elementen und Verfahrensweisen des Ateliers der Reggio-Pädagogik. Dieser in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia für und mit den dortigen kommunalen Kindertageseinrichtungen entwickelte Ansatz erfuhr ab den 1980er Jahren eine weltweite Rezeption. Er trat als erster explizit konstruktivistisch fundierter elementarpädagogische Ansatz auf, womit sich die Verknüpfung mit dem konstruktivistischen Lernwerksatzkonzept anbot. Inhaltlich konnte damit eine Verknüpfung verschiedener Bestandteile der Esslinger Werkstatt erfolgen, da sich im Konzept der Reggio-Pädagogik über das projektbezogene Arbeiten technische, naturwissenschaftliche und ästhetische Zugänge miteinander verbinden ließen. Der Ausbau griff Bestandteile eines Lichtateliers, wie es in Reggio Emilia existiert, auf. Der Bezug zur Reggio-Pädagogik wurde zu einem wesentlichen Esslinger Alleinstellungsmerkmal unter den Werkstätten in kindheitspädagogischen Studiengängen.
2014 - 2017 Räumlicher und konzeptioneller Ausbau
Im Sommersemester 2014 erfolgte der räumliche Ausbau der Werkstatt, der Raum wurde in seiner Größe verdoppelt, eine variable Raumkonzeption mit flexibler Möblierung, roll- und hochklappbaren Tischen, rollbaren Drehstühlen für wechselnde Lehr- und Lernsettings für bis zu 40 Studierende wurde geschaffen. Die nun größere Werkstatt mit ihrer reichhaltigen Ausstattung mit weitgehend zugänglichen Materialien wurde zugleich ein zusätzlicher offenen Seminarraum.
Als Impuls für die konzeptionelle Weiterentwicklung wurde auch die programmatische Bezeichnung Bildungswerkstatt gewählt, eine Bezeichnung die den zentralen Stellenwert des Bildungsbegriffs in kindheitspädagogischen Studiengängen unterstützt, die den Fokus auf einen Ermöglichungsraum für Bildungsprozesse verdeutlicht.
Auf dieser Grundlage machten sich Studierenden im Wintersemester 2014/15 in dem Wahlpflichtseminar „Von der Lernwerkstatt zur Bildungswerkstatt als Ort der Partizipation und des forschenden Lernens“ daran, das gestalterische Finetuning zu übernehmen, den großen Materialfundus zu sichten, durch ein neues Ordnungssystem zu strukturieren und zu ergänzen.
2016 wurde die offene Bildungswerkstatt (oBWS) als spezielles Format im Studiengang der Kindheitspädagogik mit eigenem Moodle-Kurs etabliert. Neben der Möglichkeit das eigene Studium vor- und nachzubereiten und sich im offenen Rahmen über selbstgewählte Themen der Studierenden auszutauschen finden regelmäßig auch verschiedene Veranstaltungen in der Bildungswerkstatt statt, in der Vergangenheit z.B.:
- Berichte von verschiedenen Studienreisen und von Auslandspraktika (China, Südtirol)
- Informationsveranstaltungen des Jugendamts Stuttgart zu den Einstellungsperspektiven für Studierende
Seit der räumlichen Erweiterung 2015 dient die BWS auch als repräsentativer Veranstaltungsraum für die Kindheitspädagogik, z.B.
- Beirat der Heinz und Heide Dürr Stiftung
- Salon Denkzeit
- 4. Werkstattkonferenz
- MentorInnentreffen für das Praxissemester
- Forum Kindheitspädagogik
- Filmvorführungen
- Vortragsreihen
2018 – 2019 Überarbeitung und Neujustierung
Im Wintersemester 2018/19 wagten sich Studierende im Rahmen des Seminars „Die Bildungswerkstatt als Ort der Bildungsbereiche und des Reggianischen Ateliers weiterentwickeln“ erneut unter Begleitung von Prof. Dr. Axel Jansa an eine Umstrukturierung und Modernisierung der Bildungswerkstatt. Der Aufforderungscharakter und die Zugänglichkeit der einzelnen Bereiche und Bildungsangebote wurden geprüft und ggf. verbessert, erweitert und systematisch mit Hinweisschildern versehen, die Materialausstattung wurde im Zuge des Transformationsprozesses von der Lern- zur Bildungswerkstatt weiterentwickelt, die ursprünglichen Experimentierkisten wurden aufgelöst.
Ideen und Planung der insgesamt sieben Studienfahrten im Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ ab 2009 hatten ihren Ausgangspunkt in Zusammenkünften der Studierenden in der Bildungswerkstatt. Folgende Städte und Regionen war das Ziel: München, Berlin, Zürich, Hamburg, Südtirol.
Informationen zu den besuchten sozialen und Bildungseinrichtungen; bei den Studienfahrten ins Ausland zusätzlich Hintergrundinformationen zum Bildungs- und Sozialsystem des betreffenden Landes sowie Reflexionen zur Organisation und Durchführung der Exkursionen und Anregungen zur Optimierung finden sich in der Reisewerkstatt. Die Reisewerkstatt will Studierende zu weiteren Studienfahrten anregen um so zur Horizonterweiterung beizutragen.
Im Zusammenhang mit den drei Studienreisen nach Südtirol und einer daraus hervorgegangenen Erasmus-Partnerschaft mit der Fakultät Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen am Standort Brixen entwickelte sich eine Kooperation mit der dortigen Lernwerkstatt EduSpace mit elementar- und primardidaktischem Schwerpunkt.
Ein gemeinsames Vorhaben ist die stärkere Einbeziehung mediendidaktischer Ansätze und Ausstattungen sowie eine stärkere Digitalisierung der Angebote.
Seit 2011 ist die Esslinger Bildungswerkstatt auf den jährlichen Fachtagungen der Hochschullernwerkstätten vertreten, mit der Gründung des internationalen Netzwerk hochschulischer Lernwerkstätten (NeHle) 2017, ist sie Mitglied dieses Verbundes.